Feldwebel Anton Schmid, Rettungswiderstand
Thursday 23 June 2016
Feldwebel Anton Schmid, Rettungswiderstand:
Studiendirektor a.D. Jakob K n a b
(Blankenburg, Harz, 22.
Juni 2016)
Feldwebel
Anton Schmid – eine Würdigung
(Anrede)
Erstmals hörte ich den
Namen von Feldwebel Anton Schmid im Dezember 1999, als ich in Bremen an einer
Tagung des AK Historische Friedensforschung
teilnahm. Der jüdische Historiker Arno Lustiger, der Auschwitz überlebt hatte,
sprach über Anton Schmid, den Judenretter im litauischen Wilna. Er beendete
seine Ausführungen mit diesem Hinweis: „So viele Lichtgestalten wie Anton
Schmid habt Ihr Deutschen nicht!“ Und er mahnte: „Warum kümmert sich niemand um
sein Andenken?“
Seine Worte fielen auf
fruchtbaren Boden. Am 8. Mai 2000 wurde die Liegenschaft der Bundeswehr in
Rendsburg neu benannt nach Feldwebel Anton Schmid. Ich zitiere aus der damaligen
Rede von Bundesminister Rudolf Scharping: „Uns in Deutschland geht es dabei um
Menschenwürde und Freiheit, um Wahrung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden und
Nächstenliebe. Es geht uns aber auch um Tapferkeit und Mut, Zivilcourage und
Einsatz für andere, beispielhafte Pflichterfüllung und Freude an
Verantwortung.“ Der Minister beendete seine Rede mit der Bitte: „Erzählen Sie
die Geschichte des Feldwebel Anton Schmid weiter, damit sich die Zeit, in der
er leben musste und umkam, nie wiederholt.“[1]
Die große jüdische Gelehrte
Hannah Arendt (1906–1975) hatte als erste an Anton Schmid erinnert. Als
Beobachterin des Eichmann-Prozesses (Jerusalem, 1961) erfuhr sie von den
Rettungstaten eines Feldwebels der Wehrmacht. In ihrem Buch Eichmann in Jerusalem findet sich diese
erhabene Stelle: „Während der wenigen Minuten, die Kovner brauchte, um über die
Hilfe eines deutschen Feldwebels zu erzählen, lag Stille über dem Gerichtssaal;
es war, als habe die Menge spontan beschlossen, die üblichen zwei Minuten des
Schweigens zu Ehren des Mannes Anton Schmid einzuhalten. Und in diesen zwei
Minuten, die wie ein plötzlicher Lichtstrahl inmitten dichter,
undurchdringlicher Finsternis waren, zeichnete ein einziger Gedanke sich ab,
klar, unwiderlegbar, unbezweifelbar: wie vollkommen anders alles heute wäre, in
diesem Gerichtssaal, in Israel, in Deutschland, in ganz Europa, vielleicht in
allen Ländern der Welt, wenn es mehr solche Geschichten zu erzählen gäbe.”[2] Sehr
geehrte Damen und Herren, halten Sie mit mir eine Minute des Schweigens zu
Ehren des Mannes Anton Schmid.
Dies ist die Geschichte
seiner spontanen Hilfsbereitschaft, seines aktiven Anstandes und seiner
vorbildlichen Humanität: Als Feldwebel der Wehrmacht hat er Menschen gerettet, er hat geholfen – und er
hat dabei sein Leben riskiert. Als Anton Schmid am 14. Oktober 1941 die
Versprengten-Sammelstelle der Wehrmacht am Hauptbahnhof Wilna übernahm, war der
größte Teil der Wilnaer Juden bereits von den deutschen Besatzern und ihren Helfershelfern
getötet worden. Der Autor Manfred Wieninger (St. Pölten, OÖ) schildert den
Wendepunkt in Anton Schmids Leben so: „Aus dem Schatten eines halbverfallenen
Schuppens taucht plötzlich eine Gestalt auf, ein junges Mädchen, das ihn
anspricht: Nicht schießen! Bitte nicht schießen! Sie müssen mir helfen, Herr
Feldwebel! Die schwarzen, großen, verzweifelten Augen erinnern ihn sofort an
seine Tochter Gertrude in Wien, die etwa in demselben Alter ist. Spontan, ohne
große Überlegung bietet Feldwebel Schmid der Verzweifelten an, sie in die nahe Versprengten-Sammelstelle
mitzunehmen, wo sie diese Nacht verbringen könne. Schmids Entscheidung zur
Hilfeleistung ist eine Sache des Augenblicks, ein Akt des Erbarmens angesichts
der Notlage eines bedrängten Menschen.“[3]
Feldwebel Schmid leitete
eine Sammelstelle für versprengte deutsche Soldaten. Gleichzeitig wurde er
Augenzeuge von widerwärtigen Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung; seine
spontane Hilfsbereitschaft war sein erster Schritt in den Rettungswiderstand.
Er versorgte die Bewohner des Ghettos mit Lebensmitteln. Er verhalf Menschen
zur Flucht; mit einem Lastkraftwagen der Wehrmacht schmuggelte er zahlreiche
Juden aus Wilna heraus ins benachbarte Weißrussland. Man schätzt, dass Schmid
etwa 300 Menschen das Leben gerettet hat. Schließlich unterstützte er zusammen
mit dem Abt des Wilnaer Klosters Ostra
Brama auch den jüdischen Widerstand, der sich Ende 1941 in Wilna zu
organisieren begann. Nach mehrmonatiger Rettungstätigkeit wurde Feldwebel
Schmid verraten, von der Geheimen Feldpolizei verhaftet und vor ein Kriegsgericht[4]
gestellt. Am 25. Februar 1942 wurde er zum Tode verurteilt und am 13. April
1942 im Militärgefängnis Stefanska erschossen.[5]
Gerettete sagten über ihn: „Für uns war er so etwas wie ein Heiliger.“
Ja, er war ein Held und ein
Heiliger. Mit der geretteten Jüdin Luisa Emaitisaite hatte er über die
Beweggründe seines Handelns gesprochen und dabei dieses gläubige Bekenntnis
abgelegt: „Es ist mir so, als wenn Jesus selbst im Ghetto wäre und um Hilfe
riefe. Jesus ist überall dort, wo Menschen leiden.“ Angesichts von
Jahrhunderten der Ausgrenzung der jüdischen Minderheit im christlichen
Abendland hatte der einfache Feldwebel Anton Schmid auf seinem Herzensgrunde
erkannt, dass Jesus ein Jude war.[6]
Eine außergewöhnliche Ehrung
erfuhr der einfache, nicht-intellektuelle Feldwebel Schmid in der neuen Nummer
des PHILOSOPHIE MAGAZINS (Juni 2016, Sonderausgabe Hannah Arendt).
Als die Feldwebel-Schmid-Kaserne
in Rendsburg Ende März 2011 geschlossen wurde, erlosch damit auch der öffentliche
Traditionsname „Feldwebel Schmid“. Uns
war nur klar, sein Name durfte nicht vergessen werden. Denn seine
herausragenden Taten für Recht, Freiheit und Menschenwürde sind beispielhaft
und erinnerungswürdig für die Bundeswehr und für die deutsche Zivilgesellschaft.
Die Bundesministerin der Verteidigung hat nun der Bitte entsprochen, eine
Liegenschaft der Bundeswehr nach Feldwebel Anton Schmid neu zu benennen. Dafür
gebührt ihr der Dank aller Verfassungspatrioten. (Beifall)
Sehr geehrte Damen und
Herren!
Heute schreiben wir den 22.
Juni 2016. Die Wahl dieses Datums
vertieft den Sinn der heutigen Neubenennung, denn am 22. Juni 1941, heute vor
75 Jahren, begann der rasseideologisch und machtpolitisch motivierte
Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Und rufen wir uns auch in Erinnerung,
dass die Namensgebung in Rendsburg am 8. Mai 2000, 55 Jahre nach dem Ende des
Krieges, erfolgte. In das historische Umfeld gehört
auch, dass in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges hier im Harz von
Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen ein gewaltiges Stollensystem in den
Sandsteinfels getrieben wurde. So dient die heutige Neubenennung auch der
Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der deutschen Geschichte.
Hierzu gehört auch die
Frage: Was ist der Mensch? Darauf gab Viktor Frankl, auch er ein jüdischer
Überlebender von Auschwitz, diese Antwort: „Der Mensch ist das Wesen, das immer
entscheidet, was es ist. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat;
aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist – aufrecht und ein Gebet auf den Lippen.“ Anton
Schmid gehört zu den Aufrechten: Als erstem Angehörigen der Wehrmacht wurde ihm am 1. Februar 1967 die Auszeichnung
„Gerechter unter den Völkern" posthum verliehen.
In der Biographie Feldwebel Anton Schmid. Ein Held der Humanität
(Ffm. 2013) wird er mit diesen anrührenden Worten gewürdigt: „So können wir
Anton Schmid als einen Mann betrachten und ehren, der unter extremen
Bedingungen – mitten in Krieg und Holocaust – als Mensch handelte und damit
auch ein zivilgesellschaftliches Vorbild ist. Er kann die heute und zukünftig
lebenden Menschen lehren, dass eine humane Orientierung – Schutz des Lebens und
der Würde der Menschen – die Leitlinie für das eigene Handeln sein sollte, im
Alltag wie unter schwierigen Bedingungen. Anton Schmid setzte sein Leben ein
für die Freiheit des Gewissens und für die Würde des Menschen.“[7]
[1] Rede des Bundesministers der Verteidigung Rudolf
Scharping anlässlich der Umbenennung der Rüdel-Kaserne in
Feldwebel-Schmid-Kaserne am 8. Mai 2000
[2] Hannah Arendt, Eichmann
in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 9.
Aufl. 1995, 275 f.
[3] Manfred Wieninger, Die
Banalität des Guten. Feldwebel Anton Schmid, Wien 2014, S. 90f.
[4] Gericht der Feldkommandantur 814
[5] Weiterführende Literatur zu Anton Schmid: Arno
Lustiger, Feldwebel Anton Schmid. Judenretter in Wilna 1941 – 1942, in: Wolfram
Wette (Hg.), Retter in Uniform.
Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, [Fi TB 15221] Ffm.
2002. – Wolfram Wette. Feldwebel Anton
Schmid. Ein Held der Humanität, Ffm. 2013. – Manfred Wieninger, Die Banalität des Guten. Feldwebel Anton
Schmid, Wien 2014.
[6] Apostel Paulus, Brief an die Römer, Kapitel 9, Vers 5
[7] Wolfram Wette, Feldwebel
Anton Schmid. Ein Held der Humanität, Ffm. 2013, S. 227.
vertieft den Sinn der heutigen Neubenennung, denn am 22. Juni 1941, heute vor 75 Jahren, begann der rasseideologisch und machtpolitisch motivierte Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Und rufen wir uns auch in Erinnerung, dass die Namensgebung in Rendsburg am 8. Mai 2000, 55 Jahre nach dem Ende des Krieges, erfolgte. In das historische Umfeld gehört auch, dass in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges hier im Harz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen ein gewaltiges Stollensystem in den Sandsteinfels getrieben wurde. So dient die heutige Neubenennung auch der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der deutschen Geschichte.
[1] Rede des Bundesministers der Verteidigung Rudolf
Scharping anlässlich der Umbenennung der Rüdel-Kaserne in
Feldwebel-Schmid-Kaserne am 8. Mai 2000
[2] Hannah Arendt, Eichmann
in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 9.
Aufl. 1995, 275 f.
[3] Manfred Wieninger, Die
Banalität des Guten. Feldwebel Anton Schmid, Wien 2014, S. 90f.
[4] Gericht der Feldkommandantur 814
[5] Weiterführende Literatur zu Anton Schmid: Arno
Lustiger, Feldwebel Anton Schmid. Judenretter in Wilna 1941 – 1942, in: Wolfram
Wette (Hg.), Retter in Uniform.
Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, [Fi TB 15221] Ffm.
2002. – Wolfram Wette. Feldwebel Anton
Schmid. Ein Held der Humanität, Ffm. 2013. – Manfred Wieninger, Die Banalität des Guten. Feldwebel Anton
Schmid, Wien 2014.
[6] Apostel Paulus, Brief an die Römer, Kapitel 9, Vers 5
[7] Wolfram Wette, Feldwebel
Anton Schmid. Ein Held der Humanität, Ffm. 2013, S. 227.
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